"Eliso" von Aleksandre Kasbegi, Aachen 2014, 127 S.

Man nehme eine Portion georgische Geschichte, füge eine Prise Naturverbundenheit hinzu und runde das Ganze mit einem Schuss Liebe und Leidenschaft ab. Alles kräftig zusammen verrühren und man erhält die gefühlvollen, zugleich ernsten und lebhaft illustrierten Erzählungen von Aleksandre Kasbegi.

„Eliso“ ist ein Band solcher Erzählungen, indem das eben beschriebene Rezept dreimal auf unterschiedliche Weise angewandt wurde. In enger Zusammenarbeit hat die Herausgeberin Steffi Chotiwari-Jünger mit Nino Stoica und Maja Lisowski diese übersetzt und so erschienen sie gesammelt in einem Buch 2014 im Shaker Verlag Aachen.

Die Handlung spielt hauptsächlich in der georgischen Region Chewi und behandelt die geschichtliche Vergangenheit des Landes, vor allem die gesellschaftspolitische Lage und die daraus resultierenden Umstände für die Bevölkerung, in Kombination mit klassischen Problemen der Liebe.

Die erste Erzählung „Zizka“ handelt von einem gleichnamigen jungen Mann, der mit seiner schon älteren Mutter im kleinen Dorf Zdo lebt. Er verliebt sich in ein Mädchen aus dem Nachbarsdorf, welches jedoch schon jemand anderem versprochen ist. Dieser Jemand schafft es mit einer List den ehrenhaften Zizka aus seiner Heimat zu vertreiben, der seit diesem Tag an auf Rache sinnt.

In der Erzählung „Eliso“, die sich nun anschließt, geht es diesmal um eine gleichnamige junge, Frau, die sich in ihren jungen Jahren gleich mit mehreren komplizierten Problemen auseinandersetzen muss. Zum einen wird ihr tschetschenischer Stamm gezwungen, die geliebte Heimat zu verlassen und zum anderen ist da ihre verbotene Liebe zu dem andersgläubigen Washia. Sie will auf keinen Fall ihren Vater enttäuschen oder verlieren, jedoch kann sie sich ein Leben ohne ihren Geliebten nicht vorstellen. Infolgedessen beginnen die beiden wichtigsten Männer in Elisos Leben um sie zu streiten.

Die dritte und letzte Erzählung „Der Stammesälteste Gotscha“ dreht sich um den jungen Chewen Onise, der sich in die Braut seines besten Freundes verliebt. Um die Ehre seiner Vorfahren und seines Vaters, dem Stammesoberhaupt, nicht zu beschmutzen, verbietet er sich jedoch die auf Gegenseitigkeit beruhende Liebe und flüchtet in ein anderes Dorf, in der Hoffnung seine Angebetete vergessen zu können. Erst im Zuge eines Krieges, in dem Onise seine Heimat verteidigen und für sich seine Ehre wiederherstellen will, flackert die unterdrückte Liebe wieder von Neuem auf. Diesmal kann Onise sich nicht zurückhalten und das hat folgenschwere Konsequenzen.

Die immer wiederauffindbaren zentralen Themen der Erzählungen sind Freundschaft, Liebe, Ehrenhaftigkeit und Verantwortungsbewusstsein, aber auch Traurigkeit, Abschied und Machtkämpfe. Die dabei empfundenen Gefühle und Gedanken der einzelnen Protagonisten bilden dabei den Schwerpunkt. Der Autor zeigt geschickt unterschiedliche Konflikte auf, indem er die typischen Sorgen der damaligen jungen Menschen in die gesellschaftspolitischen Probleme dieser vergangenen Zeit einbettet. So entstehen zum Teil mehrsträngige Handlungen, die den Leser besser in die Gesamtsituation einführen.

Des Weiteren findet man darüber einen klaren Bezug zu den vorherrschenden zentralen Werten dieser Zeit, wie beispielsweise Ehre, Heimatverbundenheit oder Familie, und auch zu speziell beschriebenen Kulturen. Damit sind die Verhältnisse noch besser greif- und vorstellbar.

Die detailreichen Beschreibungen verhelfen dem Leser zu einem besseren Verständnis und entführen ihn in die Welt der Region Chewi und seinen Protagonisten. Vor allen Dingen die Natur wird dabei in den schönsten Formen und Farben beschrieben und betont die Schönheit der Region. Der Stolz auf die Heimat ist deshalb auch bei den Figuren gut zu beobachten. Damit wird der oft thematisierte Abschied aus der geliebten Heimat dem Leser sehr glaubwürdig vermittelt. Der dabei empfundene Schmerz dringt bis an einen selbst heran und man kann gar nicht anders als mitzufühlen. Indessen versetzt man sich gleichzeitig, wie von allein, in die Lage der Hauptpersonen und macht deren Probleme zu den eigenen.

Die Sprache tut unterdessen ihr Übriges. Vereinzelte nicht übersetzte Wortgruppen und der damals gesprochene Sprachstil machen das Erzählte noch wirklichkeitsgetreuer. Für alle, die jedoch nur die normale Alltagssprache gewöhnt sind, könnte das zunächst ungewohnt sein.

Im Allgemeinen braucht man kein spezielles Vorwissen über Georgien und seiner Vorgeschichte, welches dennoch zur besseren Einordnung nicht unnütz wäre. Auf jeden Fall aber Interesse, um sich nicht nur von den Erzählung in eine andere Welt entführen zu lassen, sondern auch um die Kritik, welche dahinter steht, zwischen den Zeilen heraus lesen zu können. Die Geschichten unterhalten nicht nur den Leser, sie geben ihm ebenso indirektes Hintergrundwissen und Erklärungsansätze für die heutigen Konflikte in Georgien und Umgebung. Traditionen, Bräuche und andere Charakterzüge der vorherrschenden Kulturen werden währenddessen ganz nebenbei eingeflochten.

Zusammenfassend ist das Buch auf jeden Fall weiterzuempfehlen. Fans von Thrillern oder Action-Romanen werden wahrscheinlich nicht in gleicher Weise auf ihre Kosten kommen, wie die Leser, die Gefallen an der Natur haben, sich gern von Gefühlen mitreißen lassen oder hinter gesellschaftliche Konflikte steigen wollen. Obwohl meist junge Menschen im Vordergrund der Handlung stehen, spricht das Buch nicht unbedingt nur die jüngere Generation an. Es ist keineswegs ein hochpolitisches Buch, indem es nur um Machtstrategien und komplexe Kulturen geht. Vielmehr taucht man ab in eine andere Welt, lässt sich von dieser berauschen und ganz nebenbei lernt man ein Gebiet kennen, welches eigentlich so weit weg scheint, dass wir es normalerweise nicht für nötig halten, uns mit dessen Problemen und historischer Vergangenheit zu beschäftigen.

Gez. Julia Göricke