Esel und Beichte – zwei georgische Bücher, die nicht altern wollen
Habe ich jemals georgische Literatur gelesen? Und dann fällt meine Wahl auf zwei im letzten Jahr erst erschienenen Bände des Pop Verlags, aus der Kaukasus-Reihe, Band 6 & 7: Ekaterine Gabaschwili (1851 - 1938): „Magdanas Esel“ und Tschocha Lomtatidse (1878 - 1915): „Die Beichte“.
Schon die Buchdeckel ziehen mich an: An einer mit einem roten Tischtuch bedeckten Tafel sitzen bizarre, abgetakelte aber auch sehr stolze Menschen mit Orden und Weingläsern. Es ist ein Bild aus der Serie „Vernichtete Aristokratie“ von Lewan Tschogoschwili, entstanden 1970-2000 mit dem Titel „Ekaterine Gabaschwilis Familie“. Es ist über 30 Jahre nach dem Tod der Schriftstellerin entstanden und wirkt etwas moderner, greller als die Erzählungen der Autorin. Aber als Hintergrundbild ist es sehr aufschlussreich. Man kann quasie durch es hindurch in das Buch spazieren. Ekaterina Gabaschwili stammt aus einer solchen Familie, die Figuren, über die sie schreibt entstammen zwar ärmeren Verhältnissen, aber gemeinsam ist ihnen, am Rande der Gesellschaft zu stehen und sich behaupten zu müssen.
Wie Gabaschwili selbst, die 11 Kinder großgezogen hat und zur vom zaristischen Regime unterdrückten ethnischen Minderheit gehört.
Die Geschichten sind streng durchkomponiert, es gibt darunter viele Novellen mit sehr realistischen Schilderungen und präzisen Charakterzeichnungen.
Ich habe überlegt, ob es sinnvoll ist, das Werk mit der deutschen Literaturgeschichte zu vergleichen, es dort einzuordnen, poetischer Realismus, Naturalismus, Symbolismus... moderne Epik, Expressionismus. Alles Quatsch. Deutschsprachiges findet man wenig über die georgische Literatur und noch weniger georgische Literatur. In der ehemaligen DDR wurde natürlich schon aus politischen Gründen solche veröffentlicht. Immerhin. Denn wie aktuell, wie wichtig ist die Stellung dieses Landes zwischen Morgenland und Abendland, mit seiner Grenze zu Russland und zur Türkei. Allerdings ist es auch ständig von diesen Mächten gebeutelt worden.
In diesem Land spricht man 23 verschiedene Sprachen und es sind alle möglichen Religionen anzutreffen, allerdings ist die christlich-orthodoxe zur Staatsreligion geworden und der Name das Landes leitet sich vom heiligen Georg ab.
Und auch ich möchte dem Werk lieber auf Sprachebene begegnen, auf formaler Eben, denn das scheint mir interessanter: Schon der erste Satz einer jeden Erzählung enthält wie die Ouvertüre einer Oper die ganze Geschichte.
Die Formvollendetheit der Texte fasziniert und man wundert sich, über den geringen Bekanntheitsgrad hierzulande, kein Wunder wiederum, dass ihre Texte in Schulbüchern aufgenommen wurden oder dass ihre titelgebende Erzählung „Magdanas Esel“ in der Sowjetunion verfilmt wurde.
Sujet ist fast immer das Überleben einfacher Leute. Vielleicht ist das in der Zeit zu betrachte, dass das Elend so sehr betont wird, dass der Bildung so einen hohen Wert beigemessen wird, als sei sie mit Erlösung gleichzusetzen. Vor allem in dem Kurzdrama „Ein Sittenbild“, einer der wenigen Texte, die nicht so moralisch wirken. Die meisten Geschichten haben den Tenor: arm = gut / reich = böse, oder: Arm sein führt zum Bösesein, oder zum Gutsein, oder zum Tod. Hinter dieser Krassheit verschwinden die Charaktere manchmal.
Nun zu Tschola Lomtatidse. Das Titelbild: Drei junge Männer auf einer s/w-Fotografie, Ende 19., Anfang 20. Jahrhundert, Titel „Die Beichte“. Was gibt es zu beichten? Und dann ist es weniger eine Beichte als ein innerer Monolog voll lyrischer Kraft. Wer stilistische Ratschläge wie „Adjektive oder Wiederholungen vermeiden“ befolgt, könnte nie so schreiben wie Lomtatidse. Mich beeindruckt dieser Autor, dessen Leben vom Zeitumfang zweimal in das von Gabaschwili passt, noch mehr. Obwohl Zeitgenossen, sind ihre Ansätze sehr verschieden. Lomtatidse ist von der sozial-demokratischen Idee dermaßen angetan, dass er dafür auf die Straße geht, sein Leben riskiert, festgenommen wird. Dabei ist er zu differenziert und zerrissen, um ideologisch oder idealistisch zu werden. In der Erzählung „Ohne Titel“ erlebt der Leser wie der Protagonist in einer demonstrierenden Menge, die von Polizisten mit Gewalt auseinandergesprengt wird, selbst zur Waffe greift.
Eine Geschichte hat bei beiden Autoren ein ähnliches Thema: Es geht um ein Gedicht, was zum nationalen Kulturerbe gehört. Bei Gabaschwili wird dadurch ein ehemals schlechter Mensch geläutert. Lomtatidse schwärmt, ändert sich selbst, hätte es gern selbst geschrieben, erlebt dadurch ein Stück Heimat und Selbstbewusstsein. Beunruhigende, starke Bilder wie das: Ein Verrückter wird an einen Pfahl gebunden, weil er nach dem muslimischem Glauben der Dorfbewohner nicht geheilt werden darf. Das steht er nun in der Nacht und schreit. Auch der Erzähler, der christlich geprägt ist, kann nicht schlafen, durchwandert sein Land, dessen Vielfalt ihn immer wieder zu Fragen anregt.
Kurz darauf begegnet er zwei Wanderern, einer davon ist auch Moslem, sie grüßen sich:
[...] „Wo kommst du her, Freund?“
„Ich bin aus Koris'chewi, Herr.“
„Wohin des Wegs?“
„Nach Bordshomi.“
„Ich wünsche dir Erfolg, einen guten Weg.“ Ich wollte gerade den Weg überqueren und mich in Richtung Abhang begeben, als er jetzt doch noch seine Neugier befriedigen wollte.
„Wo stammen Sie her, Herr?“
„Ich bin Gurier, Freund.“
„Wo gehen Sie hin, Herr?“
„Ich will mir eure Gegend ansehen.“
Er schaute mich von oben bis unten etwas verwundert an, sagte aber nicht, was er dachte - das bemerkte ich.
„Auf Wiedersehen, Herr, ich wünsche einen guten Weg.“
„Auf Wiedersehen, Bruder.“
Ich weiß, dass er mir mit reinem Herzen, ehrlichen Herzens den Weg gesegnet hat, dass das nicht nur aus bloßem Anstand war. Und mir ist klar, dass diese Segnung nicht folgenlos bleiben wird. Und das erfreute Herz lässt mich – vorwärts, vorwärts eilen. Das Herz lässt mich eilen.
Oh, was für ein Morgen, was für ein Morgen, mein Gott! Und warum lächeln mich nur diese Mohnblumen an? [...]
Vorwärts, vorwärts, dieses Land zu verstehen, zu erkunden! Das tut doch auf der Welt jedem Leser in jedem Land gut und gerade heutzutage. Ein Lob auf die georgische Literatur und auf die nicht alternde Literatur des vorigen Jahrhunderts.
Christine Kappe